„Überwachen und Strafen“ von Michel Foucault
CC BY-SA 4.0 Städel Museum, Frankfurt am Main

„Überwachen und Strafen“ von Michel Foucault

Erwartungen und Erkenntnisgewinn

Als ich mir dieses Buch ausgesucht habe, habe ich erwartet:

  • Kluge Gedanken von Foucault.
  • Eine Behandlung des Problems der Durchsetzung von Regeln.
  • Kriterien für den Durchsetzungsaufwand von Regeln.
  • Eine Abwägung der positiven und negativen Effekte der Regeldurchsetzung in einer Gemeinschaft.

Nach dem Lesen des Buches sehe ich mich in allen Erwartungen enttäuscht, ohne dass Unerwartetes diesen Verlust ausgleicht. Als Erkenntnisgewinn bleiben mir nur Metabetrachtungen. Dieses Buch versucht, wie die meisten Sachbücher, eine Geschichte zu konstruieren. Durch Hintergrundwissen beim Leser fallen Fehler in den Annahmen, Widersprüche zu Behauptungen oder schlicht Weglassungen auf: Wenn ich weiß, dass der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ Wurzeln im römischen Recht hat, erscheint mir seine Ausführung, dass dieser mit der Idee der Züchtigung in modernen Gefängnissen zusammenhängt, willkürlich. Ebenso will ich seinen Ausführungen nicht weiter folgen, wenn er nach einem Zitat darüber redet, dass der Mensch zu einer Maschine werden soll, während das Zitat über die Produktionssteigerung durch Disziplin und Kooperation der Arbeiter spricht. Im Vergleich zu Autoren, welche mir auch dann sehr gut gefallen haben, wenn ich Ihre Meinung nicht geteilt habe, gelingt dies Foucault nicht. Bei anderen Autoren folge ich den Kerngedanken des Textes auch bei persönlichen Widersprüchen, wenn der Autor offen damit umgeht, dass er eine Geschichte konstruiert. Die Gedanken bleiben erhellend, wenn er die Auswahl seiner Quellen begründet, und sei es nur persönliche Wertschätzung zum Urheber. Die Kerngedanken werden von Hintergrundwissen des Lesers weniger abgeschwächt, wenn das Problem, das dem Denkprozess zugrunde liegt, klar formuliert ist und die Verbindung zu ihm nachvollziehbar bleibt.

Inhaltszusammenfassung und Kritik

Das Buch „Überwachen und Strafen“ versucht die Entwicklung des Gefängnisses zu untersuchen. Anfangs beschreibt es dabei die Marterstrafen des Mittelalters und ihre Grausamkeiten, nennt dann die ersten Modellgefängnisse, um sich letztlich in einer Idee eines Wissens-Macht-Komplexes zu verlieren. Es hat dabei einen empörten Tonfall, der mich nicht aufgebracht, sondern abgestoßen hat. Ein Beispiel dazu, Foucault definiert: „Die Übung ist nämlich jene Technik, mit der man den Körpern Aufgaben stellt, die sich durch Wiederholung, Unterschiedlichkeit und Abstufung auszeichnen.“ Wenig später bleibt davon nur: „Die Übung wird ein Element einer politischen Technologie des Körpers und der Dauer. Anstatt in einem Jenseits zu gipfeln, richtet sie sich auf eine nie abzuschließende Unterwerfung aus.“  Dieser Übungsbegriff erscheint mir übertrieben und für seinen Untersuchungsgegenstand der Gefängnisstrafe nicht notwendig.

So sehr mich die ständige mir nicht nachvollziehbare Empörung auch gestört hat, fand ich den Mangel einer Problemdiskussion schlimmer. Weder wird die Notwendigkeit von Strafe besprochen, noch wird ein alternativer Strafansatz vorgestellt. Es wird nicht einmal das Problem des Zusammenlebens von Menschen und die Notwendigkeit von Regeln aufgegriffen. Stattdessen wird das Strafsystem, insbesondere das Gefängnis, als Übel dargestellt: „Die Disziplinarstrafe ist zu einem Gutteil mit der Verpflichtung selbst identisch. Sie ist weniger Rache des verletzten Gesetzes als vielmehr seine Wiederholung, seine nachdrückliche Einschärfung. Der erwartete Besserungseffekt resultiert weniger aus Sühne und Reue als vielmehr direkt aus der Mechanik einer Dressur. Richten ist Abrichten.“ Natürlich ist es einfach, das Wegsperren und Strafen von Menschen schlecht zu finden, aber ohne Diskussion von Alternativen oder der Nutzlosigkeit der Strafen wirkt es arrogant oder naiv. Zwischendurch scheint die These auf, dass das Gefängnis die Menschen erst zu regelmäßigen Verbrechern macht. Doch es bleibt bei einem Verweis auf die Verurteilungsquote von ehemaligen Insassen. Es gibt keine Diskussion von konkreten Fallzahlen, keine anderen Strafmodelle werden gegenübergestellt, es folgt keine Statistik unterschiedlicher Gefängnisse oder Zeiten.

Meine Probleme mit diesem Buch sind: keine klaren Fragen, keine Fakten, viel Vorwurfshaltung. All dies zeigt sich schön am Ende. Die letzten beiden Sätze sind: „In dieser zentralen und zentralisierten Humanität, die Effekt und Instrument komplexer Machtbeziehungen ist, die Körper und Kräfte durch vielfältige ‚Einkerkerungs‘-Anlagen unterworfen und für Diskurse objektiviert, die selber Elemente der Strategie sind. In dieser Humanität ist das Donnerrollen der Schlacht nicht zu überhören.“ Nach diesem Vorwurf folgt als Fußnote: „Hier breche ich dieses Buch ab, das verschiedene Untersuchungen über die Normierungsmacht und die Formierung des Wissens in der modernen Gesellschaft als historischer Hintergrund dienen soll.“

Schreibe einen Kommentar