Gefängnis und Strafe in Deutschland: Salonabend

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Ausgangspunkt meiner Beschäftigung mit diesem Thema ist meine Unzufriedenheit mit dem Buch „Überwachen und Strafen“ von Foucault. Darin prangert er die Nutzlosigkeit von Gefängnissen und ihre schlechten Bedingungen für die Insassen an. Während ich wenig Zweifel an diesen Ausführungen hatte, fehlte mir eine alternative Strafform oder ein Erfolgsweg für den Umgang mit denjenigen Menschen, die sich nicht an Gesetze halten und kaum über Besitz verfügen.

Die Situation der Gefängnisse ist in der Tat nicht sonderlich erbaulich: Für Anstalten ist Suizid in der Haft ein bekanntes Problem; Drogen sind für die meisten Insassen leicht zu erhalten; die Rückfallquote von Insassen liegt in den USA einer Studie zufolge bei vergleichbarer Vorgeschichte, um 8% höher als bei Bewährungsstrafen (bei bestimmten Delikten ist die Rückfallquote gleich); über die Effektivität der verschiedenen Resozialisierungsprogramme gibt es wenig wissenschaftliche Belege.

Ein Problem von Strafe, Verurteilten und damit auch von Gefängnissen ist ihre Position am Rand der Gesellschaft. Schon für das Rechtssystem ist es zwar unverzichtbar, dass der Bruch von Gesetzen negative Konsequenzen nach sich zieht, aber durch das vorhanden sein von Strafmöglichkeiten und durch die moralische Grundlage des Rechts- und Ordnungssystems kommt es überwiegend gar nicht zum Bruch der Regeln. Diejenigen, die die Gesetze brechen und sich dabei auch erwischen lassen, befinden sich überwiegend am Rand der Gesellschaft und haben vielfältige Entwicklungsrückstände. Die 8 Risikofaktoren, die eine kriminelle Entwicklung statistisch begünstigen sind:

  • Vorgeschichte antisozialen Verhaltens
  •  Antisoziale Persönlichkeit (Psychopathie, Impulsivität, mangelnde Selbstregulationsfähigkeit usw.)
  • Antisozialer Umgang
  •  Antisoziale Kognitionen
  •  Familiäre Probleme
  • Probleme in Schule und Beruf
  •  Freizeitverhalten
  • Alkohol-/Drogenproblematik

Das Milieu der Insassen soll noch durch folgende Fakten beleuchtet werden: 30% der Insassen haben erhebliche psychische Probleme; 10% der Insassen verbüßen eine Ersatzfreiheitsstrafe (von diesen hatten 95% weniger als 1000 € netto pro Monat (Paper ist von 2019)); von den Inhaftierten des Jugendstrafvollzugs waren zu einem Stichtag in einem Bundesland trotz eines Durchschnittsalters von 18 Jahren der Großteil beschäftigungslos und hatte keinen Schulabschluss.

Foucaults „Überwachen und Strafen“ erschien 1975 und ich muss ihm zugutehalten, dass sich der Strafvollzug seitdem stark geändert hat. Passend zur Randlage von Gefängnissen und Gefangenen wurden diese Veränderung in Deutschland maßgeblich vom Bundesverfassungsgericht angestoßen. In einem Urteil 1972 stellte es fest, dass Gefangene weiterhin Grundrechtsträger sind und daher nur auf Gesetzesgrundlage in diesen Eingeschränkt werden dürfen: daher gibt es seit 1977 Strafvollzugsgesetze. Ab 2006 verpflichtet ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Anstalten, die Wirkung ihrer Resozialisierungsmaßnahmen zu messen. Ein Beispiel aus Großbritannien zeigt, wie nötig dies ist: Teilnehmer am jahrelang durchgeführtem „Sex offender treatment programm“ hatten eine höhere Rückfallquote als unbehandelte Straftäter. Die Wirkungsmessung stellt den deutschen Strafvollzug vor besondere Probleme, da die Resozialisierung von Verhalten mehrere Akteure abhängt, die nicht in allen Bundesländern koordiniert zusammenarbeiten.

Neben dem Maßregelvollzug, indem psychisch kranke und suchtkranke Rechtsbrecher untergebracht werden (ca. 13.000 in der BRD) gibt es den Strafvollzug und die Untersuchungshaft (zusammen ca. 64.000 in der BRD). Die Resozialisierungsmaßnahmen im Maßregelvollzug oder in Justizvollzugsanstalten unterstehen ebendiesen. Für Bewährungsstrafen gibt es die Bewährungshelfer, die lange (teilweise immer noch) an die Gerichte bzw. die Staatsanwaltschaft angegliedert waren. Wird im Urteil gemeinnützige Arbeit als Auflage erteilt, so ist die Gerichtshilfe zuständig. Ist die Prognose des Inhaftierten ungünstig und er kommt nicht auf Bewährung, sondern nach der Verbüßung der gesamten Strafe frei, so ist die Führungsaufsicht zuständig.

Obwohl nach stichprobenhaften Umfragen sowohl die Inhaftierten als auch die Jurastudenten die Abschreckung als dominanten Strafzweck betrachten, liegt der Schwerpunkt der Justizvollzugsanstalten neben der Sicherheit, sowohl im Sinne eines Ausbruchs als auch der Inhaftierten vor anderen, auf der Resozialisierung. Dieses Ziel ist zweischneidig, zum einen sind die Rückfallquoten entmutigend: 35% werden strafartenübergreifend rückfällig; bei den Geldstrafen sind es 30%, bei den Freiheitsstrafen mit Bewährung 42% und bei den Freiheitsstrafen ohne Bewährung beträgt sie 48%. Anderseits enden die meisten kriminellen Karrieren und es gelingt ein Wechsel zu einem straffreien Leben.

Es gibt sinnvolle niedrigschwellige Maßnahmen das Strafsystem zu verbessern: die Bewährungshilfe sollte einer fachlichen Aufsicht unterstellt sein (Rheinland-Pfalz hinkt hier hinterher), die verschiedenen sozialen Dienste der Justiz gehören besser vernetz oder gar fusioniert, eine Reduzierung von Freiheitsstrafen ist durch die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe leicht möglich.

Neben diesen niedrigschelligen Maßnahmen möchte ich mit euch folgende umfangreichere Fragen diskutieren:

Gibt es sinnvolle Alternativen zur Freiheitsstrafe?

Ist es sinnvoll, die Menschen mit hohem kriminellem Risiko präventiv zu bearbeiten?

Fakten am Rande:

Im Jahre 2004 betrugen in Mecklenburg-Vorpommern die Kosten pro Patientenjahr 92.923 Euro. Eine Hochrechnung des vom Land Mecklenburg-Vorpommern festgelegten Tagessatzes ergibt einen Betrag von 82.198 Euro, der die landesweit anfallenden Gemeinkosten vernachlässigt. Im Vergleich dazu kostete die reguläre Haft im Jahr 2003 nur 35.770 Euro.

Von den Inhaftierten sind 5-6% Frauen.

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